Der
Abschuss der RUSSISCHEN SU-24 erfolgte im Grenzgebiet zur Provinz HATAI, die SYRIEN
für sich reklamiert
Von Florian
Rötzer
Bei
dem Konflikt zwischen RUSSLAND und der TÜRKEI geht es nicht nur um die
Unterstützung verschiedener bewaffneter Gruppen, sondern auch um geopolitische
Interessen. Der Abschuss des russischen Kampfflugzeugs erfolgte über einem
Gebiet, das für die vom Westen, von der TÜRKEI und den GOLFSTAATEN unterstützten
gemäßigten oder islamistischen Gruppen eine hohe strategische Bedeutung hat -
und damit auch für die von RUSSLAND unterstützte SYRISCHE Regierung.
TÜRKISCHEN PROVINZ HATAI - EIN
GEOSTRATEGISCHER HOTSPOT
Die TÜRKEI
bekämpft ebenso wie RUSSLAND kaum den Islamischen Staat, dafür aber die PKK und
bezeichnet auch die SYRISCHEN KURDEN der YPG als Terroristen. Unterstützt und
mit Waffen versorgt, die teils von der CIA stammen, werden bewaffnete Gruppen,
die gegen die Syrische Armee kämpfen, darunter eben auch TURKMENEN, die von der
TÜRKISCHEN Regierung als "Brüder" und "Verwandte"
betrachtet werden und die südlich der TÜRKISCHEN PROVINZ HATAI leben, von wo
aus sie aus der TÜRKEI versorgt werden können. Ansonsten gibt es nur noch einen
Korridor an der TÜRKISCH-SYRISCHEN Grenze zwischen dem von den KURDEN kontrollierten
AFRIN und den vom Islamischen Staat kontrollierten Gebieten der Provinz ALEPPO.
Für die TÜRKEI ist wichtig, verbündete SYRISCHE Gruppen zu haben, um bei einer
Lösung des SYRIEN-Konflikts mit am Tisch zu sitzen. Und um die Kontrolle über
dieses Gebiet zu erlangen, fordert die TÜRKISCHE Regierung exakt dort die
Einrichtung einer Flugverbotszone. Während die Grenze zu den KURDISCHEN
Gebieten von der TÜRKEI kontrolliert wird, ist sie gegenüber den Gebieten, die
vom IS und den übrigen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden, offen.
RUSSLAND,
das taktisch mit den KURDEN sympathisiert, unterstützt die SYRISCHE Armee sowie
die HISBOLLAH-MILIZEN bei der Offensive, das Grenzgebiet südlich der HATAI-Provinz
unter Kontrolle zu bringen. Damit würde hier die über die TÜRKISCHE Grenze
erfolgende Versorgung der bewaffneten Gruppen, die wie AHRAR AL-SHAM, AL-NUSRA oder
so genannte gemäßigte Gruppen im Umkreis der Freien SYRISCHEN Armee wie die TURKMENISCHE
AL-LIWAA AL-ASCHER FI AL-SAHEL gegen die SYRISCHE Armee kämpfen, unterbunden.
Rot: Assad-Regierung, grün: "Opposition", gelb: Kurden, schwarz: IS.
Bild: CC-BY-SA-4.0
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Daher
griffen die RUSSISCHEN Flugzeuge offenbar auch TURKMENISCHE Dörfer in dem
gebirgigen BAYIRBUCAK-Gebiet an der SYRISCH-TÜRKISCHEN Grenze an, was die TÜRKISCHE
Regierung vor allem deswegen aufschreckte, weil die Gefahr besteht, dass die
direkten Verbündeten in SYRIEN zurückgedrängt werden könnten.
„BRUDERKUSS“ UND FLÜCHTLINGS TRUMPFKARTE
Zu
den TÜRKISCHEN geostrategischen und politischen Interessen kam allerdings auch
eine von der ERDOGAN lange geschürte nationalistisch-sunnitische Stimmung im
Land, durch die der Druck auf die TÜRKISCHE Regierung wuchs, den SYRISCHEN
TURKMENEN zu Hilfe zu kommen. Man kann davon ausgehen, dass der Abschuss der RUSSISCHEN
Maschine tatsächlich im Kalkül gelegen hatte, RUSSLAND einen Warnschuss zu
versetzen, um die Interessen klar zu stellen und der eigenen Bevölkerung zu
demonstrieren, dass man die "Brüder" schützt. Relativ sicher konnte
die TÜRKISCHE Regierung sein, dass die TÜRKEI als Nato-Staat Unterstützung
erhält und seinerseits von RUSSLAND nicht angegriffen wird, während man
gegenüber der EU sowieso die Trumpfkarte der Flüchtlinge besitzt, also auch
hier höchstens besorgte Rufe zur Deeskalation erwartet werden konnten, aber
keine Kritik am riskanten Vorgehen. Sollte die ERDOGAN-Regierung von dieser
strategischen Lage ausgegangen sein, hätte sie jedenfalls richtig gelegen.
SYKES-PICOT DILEMMA VERFOLGT DEN NAHEN
OSTEN BIS IN DAS 21. JAHRHUNDERT
Doch
im Hintergrund der Reibereien zwischen der TÜRKEI und SYRIEN steht noch ein
anderer geopolitischer Streitpunkt. Schon lange liegen SYRIEN und die TÜRKEI im
Streit um die kleine, aber dicht besiedelte TÜRKISCHE PROVINZ HATAI, die am
Mittelmeer tief in den Nordwesten SYRIENS hineinragt und den südlichsten Teil
der TÜRKEI bildet. Hauptstadt ist ANTAKYA, das frühere ANTIOCHIA. Nach der
Niederlage des OSMANISCHEN REICHS und der Entstehung der modernen TÜRKEI
erhielt FRANKREICH nach dem vorhergehenden SYKES-PICOT-Abkommen, mit dem 1916
schon einmal die BRITISCHEN und FRANZÖSISCHEN Gebiete aufgeteilt wurden, das
Völkerbundmandat für den LIBANON, SYRIEN und HATAI (ALEXANDRETTA), während GROSSBRITANNIEN
der IRAK, JORDANIEN und PALÄSTINA zu gesprochen wurde. Letztes Jahr hatte der ISLAMISCHE
STAAT in den von ihm kontrollierten Gebieten die Aufhebung der Grenze zwischen SYRIEN
und dem IRAK und damit das Ende der Grenzziehung des SYKES-PICOT-Abkommen
gefeiert.
HATAI IST LAUT DEM VERTRAG VON LAUSANNE
SYRISCHES GEBIET
Die
Herrschaft der FRANZOSEN dauerte bis 1946, als SYRIEN unabhängig wurde. HATAI,
wo viele TURKMENEN lebten, die allerdings nicht die Mehrheit stellten, war als
selbständiges Gebiet verwaltet worden, die TÜRKEI erhob Ansprüche, obgleich die
TÜRKEI im Vertrag von LAUSANNE 1923 mit ihrer Unterschrift anerkannt hatte,
dass HATAI SYRISCHES Gebiet ist. 1937 wurde es kurzzeitig ein autonomes Gebiet,
das politisch weiter von FRANKREICH verwaltet wurde, militärisch war aber neben
Frankreich auch bereits die TÜRKEI beteiligt. 1938 wurde es zu einer Republik
mit einer TÜRKISCHEN Regierung. In einem Deal übergab FRANKREICH schließlich
nach einem umstrittenen Referendum 1939 HATAI der TÜRKEI, darauf hoffend, dass
sich das Land nicht HITLER anschließen wird. Nach der Annexion verließen viele ARMENIER,
ALAWITEN, ARABISCHE SUNNITEN und CHRISTEN die Provinz. Jetzt leben hier TÜRKEN,
ARABER und CHRISTEN, aber eben auch TURKEMENEN.
SYRIEN
hatte immer der Annexion widersprochen, die Gültigkeit des Referendums
bestritten und HATAI für sich beansprucht, auch auf Karten wurde das Gebiet
gerne als SYRISCHES Territorium dargestellt. Seit die TÜRKISCHE Regierung den
Sturz oder Rücktritt von ASSAD fordert, hat die SYRISCHE Regierung die
Forderungen wieder verstärkt, auch mit der Unterstützung RUSSLANDS.
Möglicherweise liegt es neben den militärischen Zielen auch im Interesse der SYRISCHEN
Regierung, die TURKMENEN aus der Region um HATAI zu vertreiben. Möglicherweise
aber hat hier auch das russische Kampfflugzeug provoziert, falls es tatsächlich
hier für ein paar Sekunden in den TÜRKISCHEN Luftraum eingedrungen sein sollte,
wie die TÜRKEI behauptet.
DIE TÜRKEI VERLETZT REGELMÄSSIG DEN GRIECHISCHEN
LUFTRAUM
Solch
ein Verhalten kennt auch die TÜRKEI gut. Seit einiger Zeit dringen nach Angaben
des GRIECHISCHEN Verteidigungsministeriums TÜRKISCHE Kampfflugzeuge und
Militärhubschrauber gerne einmal in den GRIECHISCHEN Luftraum ein. Während die TÜRKEI
seine Luftwaffe ausbaut, ist das Pleiteland GRIECHENLAND trotz seiner verhältnismäßig
großen Streitkraft derzeit behindert. Beide Länder streiten über territoriale
Ansprüche in der ÄGÄIS. GRIECHENLAND beansprucht ein Hoheitsgebiet im Luftraum
im Umkreis von 10 Meilen um seine Inseln, die TÜRKEI erkennt nur 6 Meilen an.
Üblich wären nach internationalem Recht eigentlich 12 Meilen, aber schon mit 10
Meilen würde GRIECHISCHES Territorium bis an die TÜRKISCHE Küste reichen.
Gestritten wird auch über einige kleine Inseln. Wenn die TÜRKISCHEN
Militärflugzeuge näher an die GRIECHISCHEN Inseln heranfliegen, betrachtet die
die TÜRKISCHE Regierung den Luftraum als international, für GRIECHENLAND ist
dies eine Verletzung des GRIECHISCHEN Luftraums.
Der GRIECHISCHE
Außenminister NIKOS KOTZIAS soll seinem RUSSISCHEN Kollegen LAWROW sein Beileid
zum Abschuss des Flugzeugs ausgedrückt haben. Nach Darstellung des russischen
Außenministeriums habe er gesagt, GRIECHENLAND sei "solidarisch mit der
Einschätzung des RUSSISCHEN Präsidenten, der die Handlungen ANKARAS als nicht
freundschaftlich und den Zielen der Anti-IS-Koalition zuwiderlaufend bezeichnet
hatte". Hingewiesen wird dabei eben darauf, dass die TÜRKEI wiederholt den
griechischen Luftraum verletzt.
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