EUROPA BRAUCHT EIN NEUES DESIGN, DAMIT
SICH DIE GESCHICHTE DER NATIONALISMEN NICHT WIEDERHOLT.
Anfang
vergangener Woche blickte die europäische Öffentlichkeit gespannt auf unser
Nachbarland. Nur ganz knapp ist Österreich an einem rechten Staatsoberhaupt
vorbeigeschrammt. Mit 50,3 Prozent gewann Alexander van der Bellen,
Bundespräsidentenkandidat der Grünen, die Wahl. Dieses Mal ist es gerade
nochmal gut gegangen. Aber wenn sich die Hälfte der Österreicher einen Rechtspopulisten
zum Stellvertreter ihres Landes wünscht, ist das noch lange kein Grund, um
aufzuatmen, sondern vor allem eines: Ein Zeichen dafür, in welche Richtung
Europa sich entwickelt und ein Alarmsignal: Es muss sich dringend etwas ändern.
Europa
produziert die Krise selbst
Der
sich abzeichnende Rechtstrend scheint nicht nur ein gemeinsames europäisches
Problem, sondern auch auf eine gemeinsame Ursache zurückzuführen zu sein: Ein
Mangel an Gemeinwohl und Mitbestimmung in der Europäischen Union. Dadurch
würden sich Teile der Bevölkerung abgehängt fühlen und das Vertrauen in die
„politischen Elite“ in Brüssel verlieren, schreibt Ulrike Guérot in ihrem Buch
„Warum Europa eine Republik werden muss.“
Schuld
an der derzeitigen Misere sind nicht einzelne Parteien wie die SPD oder CDU,
sondern vor allem das Konzept Europas an sich. In der Kritik steht nicht die
einstige Idee zur Gründung Europas, die Nationalstaat zu überwinden. Europa, so
Guérot, wird immer noch von einem Großteil der Bevölkerung gewollt. Vielmehr
ist es das derzeitige Umsetzung des gemeinsamen Projektes. Es bringt
Designfehler mit, die dringend begradigt werden müssen. „Damit sich die
Geschichte der Nationalismen nicht wiederholt“, warnt die
Politikwissenschaftlerin. Denn wir befinden uns in einer Art „vorrevolutionärem
Zustand“, der sich anhand antieuropäischer und populistischer Haltungen zeigt
und fast vor keinem europäischen Land Halt macht. Guérots These: „Nicht der
Populismus bedroht die EU, sondern die EU produziert den europäischen Populismus.“
Europa habe also selbst Schuld am Erfolg der Rechtspopulisten.
Soziale
Umgestaltung des Kontinents
Was
also tun, um diese Entwicklung, deren Ernsthaftigkeit uns am letzten Wochenende
in Österreich ganz deutlich vor Augen geführt wurde, aufzuhalten? Guérots
Utopie schlägt eine Republik vor. Res publica, das heißt soviel wie Gemeinwohl.
Eine Besonderheit, welche diese „Herrschaftsform“ mitbringen würde: Es gebe
keine Nationalstaaten. Die taten Europa ja ohnehin noch nie gut. Schwer, sich
ein Europa ohne Nationen wie „Frankreich“, „Deutschland“ vorzustellen. Vor
allem, weil sich doch gerade jeder in seinen Nationalstaat zurückzieht und am
liebsten eine Grenze herumziehen würde. Zumindest wirkt es so.
Nicht nur der Populismus bedroht Europa |
Guérot
glaubt, das sei nur eine Folge von einem europäischen Konzept, das seinen
Bürger ihre Souveränität entzieht. Die Republik dagegen basiert auf den Bürgern
und würde ihm wieder mehr Mitbestimmung einräumen. Dass die Bürger unzufrieden
mit dem heutigen Bauplan der EU sind, zeigen aktuelle Entwicklungen wie Brexit,
Flüchtlingskrise, TTIP oder eben jenes knappe Wahlergebnis vom letzten
Wochenende. Deshalb müsse der Bürger dringend seine Selbstbestimmung
wiedererlangen. Für ein Europa der Bürger und nicht der Banken, der Arbeitnehmer
und nicht der Industrie.
Entwicklung
zeigt sich in Gewinnern und Verlierern
Seit
der Wirtschaftskrise würden EZB und „Institutionen“ über Europa regieren – „Die
EU hat viele Verlierer produziert in den vergangenen Jahren und nur wenige,
aber große Gewinner“, so Guérot. Deshalb bräuchte die EU auch dringend eine
fairere Wirtschaft. Was die Politikwissenschaftlerin prognostiziert, schlägt
sich nun auch in den Wahlen nieder:
Ganze
81 Prozent der Österreicher, die van der Bellen gewählt haben, sind Akademiker.
Laut einer Befragung, welche Die Zeit) zitiert. Dagegen stimmten in der ersten
Runde der österreichischen Präsidentschaftswahlen 72 Prozent der Arbeiter für
den Kandidaten der rechtspopulistischen FPÖ, Norbert Hofer. Bei den
Angestellten waren es immerhin 37 und bei den Pensionären 34 Prozent.
Auch
im Nachbarland Frankreich gibt es kaum noch Arbeiter, welche die
Sozialdemokratische Partei wählen. Um genau zu sein: „Null“, um Dirk Schümer,
Europa-Korrespondent der WELT bei seinem Auftritt bei Anne Will zum Thema „Die
Krise der Volksparteien – Wo führt das hin?“ zu zitieren. Auch in Deutschland
zeichnet sich dieser Trend ab – auch wenn noch nicht so extrem wie bei unseren
europäischen Nachbarn. Glaubt man Schümer, dann hat die SPD ihre Basis
verloren. Parallel dazu verzeichnet die AFD den größten Rückhalt unter
Arbeitern und Arbeitslosen – Wählern, die vor 10 bis 20 Jahren noch treue
SPD-Anhänger waren.
Gemeinwohl
und Demokratie für ein Europa der Bürger
Damit
die „Verlierer“ Europas, die sich von Brüssel bevormundet und sozial benachteiligt
fühlen, wieder zu Gewinnern werden, muss sich das Design Europas von Grund auf
ändern. Europa braucht mehr politische Teilhabe. Zum Beispiel indem die
Brüsseler Triologie aus Rat, Parlament und Kommission endlich auch dem Prinzip
der Gewaltenteilung unterstellt wird – auf nationaler Ebene längst eine
Selbstverständlichkeit. Auf diese Weise könnten die Bürger und nicht die
einzelnen Nationen darüber entscheiden, ob Beschlüsse wie TTIP durchgesetzt
werden sollen, oder nicht.
Auch die Idee einer europäischen
Arbeitslosenversicherung trifft bei den Bürgern auf Zustimmung. Doch der EU-Rat
hat das bisher ignoriert. Ebenso müssten die europäischen Bürger politisch
gleichgestellt werden. Zum Beispiel wählen Franzosen das europäische Parlament
anders und zahlen andere Einkommenssteuer als wir Deutschen.
Die
Ursache für Brexit und antieuropäischen Haltungen sieht Ulrike Guérot in der
derzeitigen Fehlkonstruktion der Europäischen Union. „Auch Rechtspopulisten wie
Marine Le Pen sind für Europa. Sie wollen nur nicht die EU, wie sie jetzt ist“,
sagt die Politikwissenschaftlerin. Selbst wenn die Briten sich Ende Juni für
den Ausstieg aus der EU entscheiden, ist das eigentliche Problem damit noch
nicht behoben. Auch wenn es nur eine Utopie ist, die Guérot beschreibt, sollte
man ihre Ideen als Impuls dafür verstehen, dass sich die EU ändern muss. Mit
einem demokratischeren und sozialeren Konzept von Europa könnte der Rechtsruck
gestoppt werden. Damit sich die Geschichte der Nationalismen nicht wiederholt.
von Lena von Holt
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