ENTEIGNET EURE BÜRGER!
Das globale Finanzsystem gleicht seit
2008 einem Patienten, der auf der Intensivstation liegt und künstlich am Leben
erhalten wird. Seine Ärzte sind die Zentralbanken, die ihm immer höhere Dosen
immer billigeren Geldes verabreichen und dabei wissen: Ohne diese Behandlung
wäre der Patient innerhalb kürzester Zeit tot.
Von
Ernst Wolff
Ähnlich
wie mit dem Finanzsystem verhält es sich derzeit mit den italienischen Banken.
Sie sind aus eigener Kraft nicht überlebensfähig. Für genau diesen Fall hat die
EU die Bail-in–Regelung eingeführt. Sie besagt: In Not geratene Banken sollen
nicht mehr wie 2008 durch ein Bail-out, also mit dem Geld der Steuerzahler,
sondern zunächst durch die teilweise Enteignung von Aktionären, Einlegern und
Sparern gerettet werden.
ITALIEN UND EU IN DER SACKGASSE
Dieses
Prinzip ist allerdings bereits im vergangenen Dezember bei vier Banken in der
Toskana angewendet worden und hat nicht nur dort, sondern in ganz ITALIEN für
Aufruhr gesorgt: Es wurde nämlich deutlich, dass es alles andere als sozial
gerecht ist. Während ultrareiche Investoren ihre Vermögen durch ihren
Informationsvorsprung rechtzeitig abziehen und in Sicherheit bringen konnten,
wurden Arbeiter, Angestellte, Kleinunternehmer und Rentner kalt erwischt und
über Nacht zwangsenteignet. Einige von ihnen verloren ihre gesamten
Ersparnisse, ein Rentner nahm sich aus Verzweiflung das Leben.
Die
italienische Regierung steht nun vor einem unlösbaren Dilemma: Wendet sie die
Bail-in-Regelung erneut an, muss sie mit heftigem sozialem Widerstand,
möglicherweise einem Volksaufstand und einem Run auf die Banken rechnen. Wendet
sie die Regelung nicht an, ist sie auf die Unterstützung der EU angewiesen.
Die
EU aber befindet sich ebenfalls in einer Zwangslage: Gibt sie den italienischen
Forderungen nach, macht sie sich nicht nur unglaubwürdig, sondern verteilt das
Problem einfach nur auf alle europäischen Steuerzahler. Diese aber sind
gleichzeitig die Wähler der nationalen Regierungen und werden jede weitere
Maßnahme dieser Art durch Abwendung von den etablierten Parteien und nach dem
Brexit-Votum der Briten durch weitere Austrittsforderungen aus der EU
quittieren.
DER IWF SCHALTET SICH EIN
In
die Patt-Situation zwischen der italienischen Regierung und der EU-Führung hat
sich nun der IWF eingeschaltet. Die erste Frage, die sich dem Beobachter
aufdrängt, lautet: Wieso mischt sich der IWF überhaupt in innere
Angelegenheiten der EU ein? Die Antwort: Die Angelegenheit ist alles andere als
ein internes Problem der EU. Hier der Grund:
Wegen
der seit Jahren instabilen Situation des Finanzsystems wird heute kaum noch ein
Kredit ohne Kreditausfallversicherung (englisch: credit default swap oder CDS)
vergeben. Dabei versichert sich der Kreditgeber gegen den möglichen
Zahlungsausfall seines Schuldners. Was einmal vernünftig als Maßnahme zur
Risikobegrenzung gedacht war, ist durch die Deregulierung der Finanzmärkte in
eine der gefährlichsten Tellerminen im Finanzgeschäft verwandelt worden: Heute
ist es nämlich auch solchen Marktteilnehmern, die an der Vergabe eines Kredites
nicht beteiligt sind, gestattet, eine Kreditausfallversicherung abzuschließen.
Das
hat jede Menge Spekulanten auf den Plan gerufen, die sich gezielt nach
unsicheren Krediten umsehen und darauf Ausfallversicherungen abschließen, d.h.:
auf ihren Ausfall wetten. Je mehr von ihnen auf den Zug aufspringen, umso
größer die Summe, die bei einem tatsächlichen Ausfall des Schuldners fällig
wird – im Falle der italienischen Banken dürfte es sich dabei inzwischen um
weit mehr als eine Billion Euro handeln.
Insbesondere
Hedgefonds (Vermögensverwaltungen für Milliardäre) lauern im Hintergrund und
warten nur darauf, dass es zu Zahlungsausfällen kommt. Da die meisten
Kreditausfallversicherungen bei Marktgiganten wie der DEUTSCHEN BANK, der CRÉDIT
SUISSE und den US-Großbanken JP-MORGAN und GOLDMAN SACHS abgeschlossen wurden,
ist das Problem der italienischen Banken also kein nationales, sondern ein
internationales. Und in der internationalen Arena hat vor allem einer das
Sagen: der IWF.
Allerdings
steckt der IWF in Bezug auf die EU ebenfalls in der Klemme. Auf der einen Seite
ist die EU ein Konkurrent der USA, daher ist der IWF an ihrer Schwächung
interessiert. Auf der anderen Seite ist die EU ein essentieller Teil des
globalen Finanzgefüges und könnte es im Falle ihres Zusammenbruchs mit in den
Abgrund reißen. Aus diesem Grund muss der IWF also versuchen, die EU trotz
aller Störmanöver am Leben zu erhalten.
DAS REZEPT DES IWF IST BEREITS
AUSGESTELLT
In
der Tat bemüht sich der IWF zurzeit um eine solche Doppel-Strategie: Indem er
die italienische Regierung in ihrer Forderung nach einem Bail-out durch die EU
unterstützt, treibt er die seinem Vorschlag ablehnend gegenüberstehenden
deutschen Politiker in die Enge: Geben sie nicht nach, droht der Banken-Kollaps
in ITALIEN, geben sie nach, wird die Empörung darüber ihren Rückhalt in der
Bevölkerung weiter schwinden lassen.
Noch
kann niemand sagen, wie das Drama um die italienischen Banken ausgehen wird.
Nur eines ist gewiss: Selbst ihre vorübergehende Stabilisierung würde nur einen
Bruchteil der Probleme in der Eurozone lösen. Derzeit nicht im Blick der
Öffentlichkeit sind nämlich noch die spanischen, portugiesischen und
griechischen Banken, deren Bilanzen ebenfalls riesige Löcher aufweisen. Dazu
kommen die Staatsschulden, die inzwischen nicht nur in GRIECHENLAND, sondern
auch in ITALIEN, SPANIEN, PORTUGAL, BELGIEN und IRLAND mehr als 100 % des
Bruttoinlandsproduktes ausmachen und damit als untragbar gelten.
Das
Problem, vor dem die EU zurzeit steht, ist also erheblich größer als das der
italienischen Banken und erfordert langfristig wesentlich mehr Geld als eine
„einfache“ Bankenrettung. Doch woher soll es in einer Situation allgemein
hoffnungsloser Verschuldung kommen?
Der
IWF hat seine Antwort auf diese Frage bereits vor Jahren gegeben: In der
Broschüre „Taxing Times“ vom Oktober 2013 hat er zur Lösung der europäischen
Schuldenkrise eine „einmalige Vermögensabgabe“ in Form einer Steuer auf
Privatvermögen ins Gespräch gebracht und diese Forderung sogar präzisiert: „Um
die Schuldenquote auf das Niveau vom Jahresende 2007 zu senken, bedürfte es…
eines Steuersatzes von etwa 10 % auf alle Haushalte, die über Kapitalvermögen
verfügen.“ Da die Verschuldung seit 2013 um ca. 1,5 Billionen Euro gestiegen
ist, müsste der Prozentsatz heute also noch etwas höher liegen.
In
anderen Worten: Für den Ernstfall verlangt der IWF von der EU, der arbeitenden
Bevölkerung durch einen Rundumschlag einen Teil ihrer hart erarbeiteten
Rücklagen zu entziehen. Und das nicht etwa, um die Probleme der EU ein für
allemal aus der Welt zu schaffen, sondern nur, um einen Reset auf den Stand von
2007 vorzunehmen! Da der IWF keinerlei Konsequenzen für die Verursacher der
Krise fordert, ist es nicht schwer, sich seine Zukunftsvision auszumalen: Nach
der Enteignung darf das gegenwärtige Spiel zu den gleichen Regeln wieder von
vorn beginnen: Nachdem die arbeitende Bevölkerung gezwungen wurde, für die von
ultrareichen Investoren angerichteten Schäden aufzukommen, dürfen diese nach
dem Willen des IWF auch weiterhin ungehemmt auf Kosten der Allgemeinheit
spekulieren.
Ernst
Wolff ist freier Journalist und Autor des Buches „Weltmacht IWF – Chronik eines
Raubzugs“, erschienen im Tectum-Verlag, Marburg. Sc
No comments:
Post a Comment